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25.09.2023, von Sarah Rossetti

Tanz-Energie: Das Potenzial von kinetischen Böden auf Events

Wer schon einmal bei einem Coldplay-Konzert war, hat hautnah erlebt, wie die Musik durch das Publikum fliesst und Energie entfacht. Was, wenn man diese Energie nutzen könnte, um selbst die Lautsprecher oder Beleuchtung zu versorgen? Ein Konzert, das zu einer sich selbst erhaltenden Einheit wird. Erfahre, wie kinetische Energie die Zukunft von Events verändern könnte.

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Nach der Energiekrise des vergangenen Jahres hat sich bei vielen Menschen ein gesteigertes Bewusstsein für die Bedeutung einer sicheren und nachhaltigen Energieversorgung entwickelt. Als essentielles Thema der Nachhaltigkeit hat die Energieproblematik zweifellos an Relevanz gewonnen und verdient unsere volle Aufmerksamkeit hinsichtlich kreativer und nachhaltiger Ansätze zur Nutzung verschiedener Energiequellen. Welches Potenzial hat also die kinetische Energie als alternative Versorgungsquelle?

Was sind kinetische Böden und wie funktionieren sie?

Kinetische Böden nutzen die Energie, die durch menschliche Bewegung erzeugt wird, und wandeln sie in elektrische Energie um. Sie können in Form eines Tanzbodens auftreten, der nicht nur bei jedem Schritt leuchtet, sondern auch Geräte und LED-Lampen mit Strom versorgt. Zwei der häufigsten Mechanismen, die bei diesen Böden verwendet werden, sind die elektromagnetische Induktion und die Piezoelektrizität. Letztere funktioniert mit bestimmten festen Materialien - wie Kristallen, bestimmten Keramiken oder Proteinen -, die in Reaktion auf aufgebrachten mechanischen Stress elektrische Ladungen ansammeln. Die elektromagnetische Induktion hingegen verwendet Drahtspulen, um durch Veränderungen des magnetischen Feldes, die durch die Bewegung der Menschen verursacht werden, elektrischen Strom zu erzeugen.

Können diese Böden zu einer grösseren Nachhaltigkeit bei Veranstaltungen beitragen?

Um diese Frage zu beantworten, betrachtet dieser Artikel ein reales Beispiel eines kinetischen Tanzbodens, genannt der «Sustainable Dance Floor», der 2008 hergestellt wurde.
Es handelt sich um die erste kinetische Tanzfläche, die jemals geschaffen wurde. Der Boden hat eine Fläche von etwa 30 Quadratmetern, aufgeteilt in sechsundsechzig 65 x 65 cm grosse Module, die sich um bis zu einem cm vertikal bewegen können. Dieser Tanzboden arbeitet mit der Piezoelektrizitätstechnologie. Wenn man darauf läuft, springt oder Druck auf den Boden ausübt, reagieren die piezoelektrischen Materialien, indem sie eine kleine elektrische Ladung erzeugen, die durch die Biegung des Bodens entsteht. Jede Person kann bis zu 20 W elektrische Leistung erzeugen, je nachdem, wie energetisch sie tanzt. Diese Energie wird verwendet, um den Boden und den DJ-Stand zu beleuchten.

Aufgrund des kinetischen Tanzbodens und anderer Massnahmen soll der Nachtclub WATT 30 % weniger nicht erneuerbare Energie verbraucht haben als ein durchschnittlicher Club mit ähnlicher Kapazität. Die Menschen waren allerdings noch nicht bereit, Nachhaltigkeit voll und ganz zu umarmen, denn bereits zwei Jahre nach seiner Eröffnung meldete der Tanzclub Konkurs an und schloss. Die Idee des nachhaltigen Tanzbodens ist damit aber nicht gestorben, denn Energy Floors, das Unternehmen, das den «Sustainable Dance Floor» entwickelt hat, hat sein Produkt bei anderen Kunden beworben und erreichte schliesslich grosse Unternehmen wie Heineken, Adidas und die britische Band Coldplay!

Musikbands und Nachhaltigkeit - Passt das zusammen?

Für die «The Music of Spheres»-Welttournee von Coldplay hat Energy Floors einen massgeschneiderten kinetischen Energieboden bereitgestellt, als Teil der Strategie der Band, ihre Treibhausgasemissionen um 50 % im Vergleich zur vorherigen Tour zu verringern. Ende Juni wurde berichtet, dass Coldplay die Emissionen um 47 % senken konnte. Es stellt sich die Frage: Wie viel hat der kinetische Tanzboden zu diesem Erfolg beigetragen?

Coldplay verwendet einen kinetischen Tanzboden, der aus 44 Bodenplatten besteht. Angesichts einer durchschnittlichen Dauer eines Coldplay-Konzerts von etwa 2 ½ Stunden kann geschätzt werden, wie viel Energie durch das Tanzen der Fans auf dem kinetischen Tanzboden erzeugt wird. Laut Energy Floors’ CEO Michel Smit kann jede Platte zwischen 10 und 20 W Bewegungsenergie erzeugen. Wenn von 20 W Bewegungsenergie pro Platte über einen Zeitraum von 2.5 Stunden ausgegangen wird, ergibt dies 2.2 kWh Energie. Da ein durchschnittliches Coldplay-Konzert etwa 233 kWh Energie verbraucht, entspricht dies 0.94 % des Energieverbrauchs von Coldplay an einem Abend. Und dies mit der Annahme, dass jede Platte während der gesamten Konzertdauer von enthusiastischen Tänzern genutzt wird!

Energie-negative Bilanz ist das Ziel

Natürlich erfordern auch die Herstellung und Installation des kinetischen Tanzbodens Energie, die bei der Bewertung der Nachhaltigkeit dieser Böden berücksichtigt werden muss. Kinetische Tanzböden sollen über ihre Lebensdauer hinweg energie-negativ sein. Das bedeutet, dass die während ihrer Lebensdauer gewonnene Energie den Energieverbrauch für ihre Herstellung und Installation ausgleichen sollte. Für temporäre Installationen, wie Coldplay-Konzerte, wird diese Energie jedoch nicht ausgeglichen.

Einschränkungen von kinetischen Böden

Energy Floors’ Michel Smit gibt zu, dass eine kleine Anzahl von Menschen nur bescheidene Mengen an Energie erzeugt, behauptet jedoch auch, dass seine Platten keineswegs irrelevant sind. Er postuliert, dass es theoretisch möglich ist, ein Stadion mit kinetischen Platten zu füllen und 20'000 Menschen darauf hüpfen zu lassen, um eine ganze Show dieser Art mit Energie zu versorgen. Es gibt jedoch offensichtliche Einschränkungen für eine solche Installation, insbesondere die hohen Kosten für Herstellung und Installation. Zum Beispiel kosten temporäre Installationen des «Sustainable Dance Floor» zwischen 3'000 und mehreren 10'000 Euro. Permanente Installationen in kleinem Massstab kosten in der Regel rund 20'000 Euro.

Eine weitere Herausforderung im Zusammenhang mit kinetischen Böden sind die Rohstoffe, die für ihre Herstellung benötigt werden. Kinetische Böden bestehen aus Materialien wie Glas, Stahl und Elektronik. Die erzeugte Energie speist grosse Lithium-Ionen-Batterien, eine Batterieart, die denjenigen ähnlich ist, die in Elektroautos verwendet werden und sehr schnell und effizient sein können. Dennoch können die Umwelt- und sozialen Auswirkungen von Lithium- und Kobaltgewinnungsprozessen erheblich sein.

Die Lithiumgewinnung erfordert viel Wasser aus oft sehr trockenen Gebieten. Die Auswirkungen variieren je nach Quelle des Lithiums. Bei Sole-Gewinnung steigen die Umweltauswirkungen mit niedrigem Lithiumgehalt in den Solebrunnen. Gleiches könnte für die Lithiumgewinnung aus Spodumen zutreffen, dies wurde aber noch nicht sicher festgestellt. Hier sind die Umwelt-Auswirkungen mit spezifischen Gewinnungs- und Verarbeitungsaktivitäten verbunden.

Zusätzlich stammt 70 % des in Lithiumbatterien enthaltenen Kobalts aus der Demokratischen Republik Kongo, wo der Kobaltabbau aufgrund von Kinderarbeit und unsicheren Arbeitsbedingungen stark umstritten ist. Nicht nur Arbeitsunfälle im handwerklichen Kobaltabbau tragen zu den Gesundheitsfolgen von Lithium-Ionen-Batterien bei, sondern auch Emissionen aus der Produktion von Nickelsulfat und Kupferfolie. Kinderarbeit und Missbrauch wurden im Kobaltabbau wiederholt beobachtet, sei es durch die Regierung, die Polizei oder die Familien oder Bergbaugemeinden selbst.

Wie weiter?

Zusammenfassend sind kinetische Böden immer noch relativ neu und teuer. Aufgrund des hohen Energie- und Ressourcenbedarfs für Herstellung und Installation sind temporäre Installationen von kinetischen Böden derzeit ökologisch nicht sinnvoll. Darüber hinaus müssen die hohen Umwelt- und Sozialrisiken während des gesamten Lebenszyklus angegangen werden, um die Nachhaltigkeit von kinetischen Böden zu verbessern. Mit angemessenen Richtlinien, Zeit und Skaleneffekten könnten kinetische Böden jedoch nicht nur ein unterhaltsames und visuell beeindruckendes Element bei Veranstaltungen sein, sondern auch eine wirksame Nachhaltigkeitsmassnahme. Wenn sie über eine ausreichend grosse Fläche installiert und über einen längeren Zeitraum genutzt werden, könnten sie einen bedeutenden und nachhaltigen Beitrag zur Energieversorgung eines Veranstaltungsortes leisten. Wie bei jeder nachhaltigen Innovation sind die Vorteile nicht sofort ersichtlich, werden aber im Laufe der Zeit deutlicher, wenn die Technologie effizienter und kostengünstiger wird.

Fazit

Es gibt keine ideale Lösung, um die Nachhaltigkeit von Events drastisch zu revolutionieren. Mit Mut und Kreativität können Eventveranstalter jedoch trotz Herausforderungen die Öko-Bilanz ihrer Veranstaltungen verbessern, und kinetische Böden sind dafür ein interessantes Werkzeug. Die Idee dahinter ist gut, und sie haben Zukunftspotenzial. Besonders Veranstaltungsorte mit viel Besuchenden könnten von dieser Technologie profitieren. Es ist noch ein langer Weg bis hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft, also lasst uns die dabei erzeugte kinetische Energie sinnvoll nutzen!

 

 


Quellen:


Titelbild: https://www.pexels.com/de-de/foto/leute-beim-konzert-1105666/