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23.11.2020, von Pascal Mathis | Vy Chi Vuong

Wie gehen Grossevents mit der Pandemie um? - Das OASG gibt einen Einblick

2020 ist ein Jahr geprägt von Unsicherheiten. Event-Veranstalter kämpfen vor allem mit der Planungsunsicherheit. Was passiert, wenn ein Grossfestival ein zweites Mal in Folge nicht stattfinden kann? Was bedeutet dies für die Leitung, aber auch für andere Beteiligte wie Zulieferer und Besucherinnen und Besucher? Und gar für eine ganze Generation? Wir haben beim OpenAir St. Gallen nachgefragt.

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Das OpenAir St. Gallen (OASG) im Sittertobel lockt jedes Jahr 10'000 Besucherinnen und Besucher an und ist das zweitgrösste Festival in der Schweiz. Das Jahr 2020 wird beim OK und allen Beteiligten in Erinnerung bleiben. Die Nachricht, dass diesen Sommer das erste Mal in der Geschichte des Festivals seit 1977 kein OpenAir St.Gallen geben wird, hat auch uns betroffen gemacht. Seit der Absage Ende April ist einige Zeit vergangen, und wir haben uns interessiert, wie ein solcher Grossevent mit dieser ungewöhnlichen Situation umgeht. Deshalb haben wir beim Veranstalter nachgefragt und mit Christof Huber, dem Präsidenten des OASG, gesprochen.

Diverse Schweizer Openairs haben für 2021 wieder ein hochkarätiges Line-up angekündigt. So auch Ihr. Wie können sich Organisatoren absichern, falls das Openair wieder abgesagt werden muss?

Die Absicherung ist eine schwierige Sache im Moment. Man geht davon aus, dass es das Beste ist, wenn man den Event, so wie er 2020 ist, nimmt und ihn auf 2021 verschiebt. Die meisten Events in Europa machen es so (Anm. d. Red.: Christof Huber ist Präsident des internationalen Festivalverbandes Yourope). Auch wir haben es so gemacht und haben gute Resonanzen bekommen beim Line-up, Programm und allgemein bei den Anpassungen. Die Gefahr ist aber immer noch da, es ist weiterhin unsicher. Für nächstes Jahr sind die Tickets im Verkauf, doch es stagniert natürlich im Moment. Wir befinden uns allerdings in einer guten Situation, nur 2% der Besucherinnen und Besucher möchten das Ticket zurückvergütet haben. Alle anderen möchten wieder dabei sein und behalten die Tickets für nächstes Jahr. Daran erkennt man, wie gross die Loyalität der Besucherinnen und Besucher zum Festival in dieser Krisensituation ist. Momentan arbeiten wir sehr aktiv national und international an Lösungen und Optionen. Wir hoffen und würden es sehr wünschen, dass es nächstes Jahr ein Festival gibt. Wir wären jedenfalls startklar. Gleichzeitig haben wir die Offerten nochmals neu gemacht für nächstes Jahr unter der Prämisse, dass ein zweiter oder dritter Ausbruch gibt. Wir sehen ein grosses Risiko bei den Künstlern.

Habt Ihr angepasste Verträge gemacht mit den Künstlern?

Richtig, wir haben die Offerten dementsprechend angepasst, wir sind aber auch dran, auf internationaler Ebene in Verhandlungen mit den Agenturen zu prüfen, wie sich Verträge auf nächstes Jahr anpassen lassen. Das heisst, wir möchten wissen, was passiert, wenn bei einem Festival die Kapazität um 50% reduzieren würde und was das heissen würde in Bezug auf die Künstler und Durchführung etc. Es ist ein relativ umfangreiches Regelwerk im Moment.

Habt Ihr ein neues Versicherungsmodell?

Wie gesagt bis 2020 hat es Versicherungen gegeben, die gegen «Pandemie» versichert haben. Einige Veranstalter haben es geschafft, unter den Schirm zu kommen. Aber im Moment ist das unrealistisch (Anm. d. R.: Viele Versicherungen haben im April ein Zeichnungsstopp gegen «Pandemie» verfügt). Es sind ansonsten die üblichen Veranstaltungsversicherungen wie Haftpflichtversicherung etc. Aber eine Versicherung gegen einen solchen Ausfall wie dieses Jahr gibt es nicht. Falls es eine solche geben würde, ich würde mich jedenfalls interessieren dafür (lacht).

Mit 50% der Besucherinnen und Besucher und Abstandhalten auf Festivals ist sehr schwer vorstellbar. Habt Ihr schon eine Vorstellung, wie es aussehen könnte?

Die Optionen gehen sehr weit auseinander. Grundsätzlich kann man für Festivals ausgehen - ich kann da nur vom OpenAir St. Gallen sprechen - dass es entweder ein Festival mit voller Kapazität gibt oder gar keins. Wir können zwar immer ein bisschen reduzieren mit verschiedenen Eingangs- und Zutrittsregeln oder Kontrollmechanismen. Doch auch das ist sehr individuell. Es kann durchaus sein, dass ein Festival mit kleinerer Kapazität, welches vielleicht ein Cityfestival-Charakter hat, auf bestuhltes Festival wechseln und es trotz allem durchführen. Es gibt die verschiedensten Modelle, die denkbar sind, jedes Festival muss es selber definieren. Es ist bei uns nur schwer denkbar, auf dem OpenAir St. Gallen mit 10'000 Leuten das Social Distancing umzusetzen. Erstens würde es nicht gehen vom Gelände her, da es ein sehr anspruchsvolles Gelände ist. Und zweitens wäre es nicht mehr das Gleiche, es ist nicht das, was die Leute vom OpenAir St. Gallen erwarten. Es würde somit auch der Marke einen Schaden bringen. Wie gesagt die Lösungen sind individuell, und es gibt viele Wege.

 

 

Es ist also unwahrscheinlich, dass das OASG mit einer kleineren Kapazität durchgeführt wird.

Es gibt Festivals in der Schweiz, die in der Innenstadt stattfinden, bei denen ich mir gut vorstellen kann, dass das Festival bestuhlt durchgeführt werden kann mit der Hälfte oder zwei Drittel der Stühle und mit leicht erhöhten Ticketpreisen. Wenn von der Stadt zusätzlich ein gewisser Support kommt, dann ist das Konzept auch machbar mit den gleichen Künstlern. Beim OASG können wir es uns finanziell schlichtweg nicht leisten, mit kleinerer Kapazität zu arbeiten. Ich glaube das wichtigste ist nachwievor, dass die Regelungen gelten müssen. Das heisst, wenn die Behörden es absagen müssen wegen Covid und auch wegen einem zweiten Ausbruch, dass sie definieren müssen, dass der Grund «Höhere Gewalt» ist. Deshalb müssen wir es nochmals speziell erwähnen im Vertrag, damit wir in diesem Fall die Gagen der Künstler nicht bezahlen müssen. Bei der Absage dieses Jahr haben die Künstler kein Geld bekommen, weil die Behörden offiziell die Stecker gezogen haben. Die Klausel «Höhere Gewalt» hatten wir bereits in den Verträgen gehabt. Es gab ein paar wenige Veranstalter in Deutschland und Österreich, die gegen Pandemie versichert waren, es waren aber vereinzelte Ausnahmen gewesen. In diesem Sinne ist das rein gegenüber den Künstlern der wichtigste Punkt, der deklariert werden muss. Wenn wir im Vertrag die regulären Klauseln vom letzten Jahr drin gelassen hätten und der zweite Ausbruch wäre vorhersehbar gewesen, würden die Klauseln nicht mehr gelten.

Anm. d. R.: Es ist versicherungstechnisch wichtig zu unterscheiden, ob die Veranstaltung behördlich untersagt oder der Veranstalter sie aus freien Stücken abgesagt hat. Bei der behördlichen Absage ist es ein Fall der sogenannten Unmöglichkeit, und die Künstler sind nicht mehr verpflichtet aufzutreten und können deshalb keine Gage verlangen. Für freiwillig abgesagte Veranstaltung gilt grundsätzlich, dass der Veranstalter an seinen Vertrag gebunden ist. Er kann nicht beliebig absagen, macht er es doch, muss er die Gagen zahlen. Die Klausel «Höhere Gewalt» bedeutet dies nichts anderes als Zufall. Sobald etwas nicht mehr zufällig passiert, sondern absehbar wird, fällt es nicht mehr unter diese Klausel. In diesem Fall ist es eine weitere Corona-Welle.

Dann würde es bedeuten, dass Ihr alle Gagen bezahlen müsst. Wäre es tragbar?

Nein, das würde kein Festival überleben. Dementsprechend ist die ebenerwähnte Klausel die wichtigste. Wenn es um 50%-Kapazität geht oder um sitzend statt stehend oder wenn wir andere Veränderungen machen müssten, dann machen wir im Moment Vorschläge gegenüber den Künstlern. Es ist wichtig, dass auch wirklich alles deklariert wird und man es offen anspricht sowie appelliert, dass miteinander eine Lösung gefunden werden muss. Es geht nicht, dass wir die Gagen einfach halbieren und der Künstler es akzeptieren muss. Es wäre bei vielen Künstlern gar nicht machbar. Es gibt auch hier verschiedenste Modelle, aber am wichtigsten ist der Dialog, und da sind wir gut dran. Wir sind im positiven und offenen Dialog mit Agenturen auf der ganzen Welt.

Wer wäre insgesamt betroffen bei einer weiteren Absage? Zulieferer, Arbeitsplätze - Eure Arbeitsplätze? Oder ist es noch zu weit weg, dass Ihr daran denkt?

Nein, wir befassen uns alle mit dem Thema. Ich bin persönlich in nationalen und internationalen Task Forces, wo wir mit allen Festivals und Veranstaltern auf europäischer Ebene alle Option prüfen. Wir reden diesbezüglich regelmässig mit der Politik, und wir müssen uns informieren über Themen wie Impfung und Testen sowie wie sich die Zahlen Richtung Sommer entwickeln. Die Sensibilisierung der Politik im Hinblick auf den Sommer 2021 ist ebenso wichtig, wenn die Festivals nicht stattfinden können. Gibt es Kurzarbeit, Covid-Kredit, gibt es Ausfallentschädigung? Ich glaube, es müssten weitere Arten von Unterstützungen geben, weil die Reserven der meisten Firmen, sei es Zulieferern, kleineren Firmen, Selbstständigen, welche sich im 2020 knapp über Wasser halten konnten, grösstenteils aufgebraucht sind. Die meisten Veranstalter haben trotz Hilfspaket tiefrote Zahlen geschrieben, und ein zweites Jahr würden sie nicht überleben. Ein weiteres Problem ist, dass wir mehr Zeit brauchen, bis man den Entscheid treffen kann.

Bis wann könnt Ihr es hinausschieben?

Es gibt zwei Entscheidungstermine. Bei dem einen geht’s ums Operative. Da wird der Entscheid getroffen, dass wir das Festival durchführen. Die meisten Festivals müssen es ca. zwei Monate im Voraus operativ wissen. So lange können wir aber nicht warten, weil das Risiko relativ gross ist.

Risiko von den Kosten, die anfallen? Und weil es zu kurzfristig ist?

Genau, Künstler und Sponsoren werden nicht so lang warten wollen, daher gehen wir davon aus, dass wir im März, also bereits drei Monate vor dem Festival, die Entscheidungen treffen müssen. Das werden die meisten Festivals, auch die internationalen. Ich hoffe, dass wir wirklich Zeit haben, bis dann zu warten. Weil wir die Zeit brauchen, weil wir im Moment wirklich nicht wissen, wie es aussieht.

Was sind Eure Erkenntnisse aus der Pandemie, die Ihr anderen Veranstaltern weitergeben möchtet?

Es gibt Veranstalter, die den Laden in der unsicheren Zeit zu gemacht haben und warten, bis alles vorbei ist. Bei uns in der Firma haben wir aber eine andere Philosophie. Wir müssen zwar realistisch bleiben, aber Veranstaltungen sind wichtig. Wir haben letzten Sommer Openair-Kinos und Comedy-Shows veranstaltet. Wir haben das Blausee-Konzert mit Patent Ochsner durchgeführt. Es ist ein wichtiges Signal für den Markt, dass wir Sachen probieren. Obwohl sie nicht den Gewinn abwerfen, den wir benötigen, ist es trotzdem wichtig. Es geht erstens darum, mit den Mitarbeitern zusammen zu arbeiten, aktiv und motiviert zu bleiben. Und zweitens darum, dass unsere Partner wie Lieferanten, Sponsoren und Firmen sehr angewiesen sind auf unsere Aktivitäten. Und das andere ist - und das dürfen wir nicht vergessen - dass der letzte Sommer im jüngeren Bereich eine verlorene Generation hat, die gerne an Festivals gegangen wäre und nicht gehen konnte. Wenn 2021 wieder so wird, dann sind es bereits zwei Jahre ohne Festivals, was nicht gut ist für die Nachhaltigkeit der Festivals und Konzertszene. Da sehe ich als unsere Verpflichtung, alles zu unternehmen, um Sachen auszuprobieren, um Lösungen im Kulturellen zu bieten.

 

Vielen Dank, Christof Huber, dass Du uns einen Einblick gewährt hast. Wir drücken Euch und auch uns die Daumen, dass nächstes Jahr wieder Festivals stattfinden können!


Quellen:

Bild 1 | 2: OpenAir St. Gallen